Die vierte industrielle Revolution – Internet trifft Industrie

Die Digitalisierung ist der Innovationstreiber Nummer eins für die Wirtschaft. Sie legt die Basis für einen grundlegenden Wandel in der industriellen Wertschöpfung. Mit dem Zukunftsprojekt Industrie 4.0 will die Bundesregierung diese Entwicklung vorantreiben und den Standort Deutschland als Betriebsstätte und als Fabrikausrüster für die Welt stärken.

Deutschland steht als führende Industrienation vor einer gewaltigen Herausforderung. Die Digitalisierung sorgt dafür, dass IT- und Internettechnologien mit Produktionssystemen verschmelzen. Nach der Einführung mechanischer Maschinen durch Dampf und Wasserkraft im 18. Jahrhundert, der arbeitsteiligen Massenproduktion durch Einführung des Fließbands im 19. Jahrhundert und dem Einzug von Computern und Robotern im 20. Jahrhunderts bringt die vierte industrielle Revolution eine erneute Umwälzung. Das Ziel ist die intelligente Fabrik (Smart Factory), die sich durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz, Benutzerfreundlichkeit sowie die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Wertschöpfungsprozesse auszeichnet. Neue Geschäftsmodelle werden entstehen und eine Herstellung hoch-individueller Produkte zu den Kosten einer Großserienfertigung wird möglich. Experten erwarten einen schrittweisen evolutionären Prozess, der sich über 10 bis 20 Jahre erstreckt und Produktivitätssteigerungen von bis zu 30 Prozent bringt.

In der Industrie 4.0 werden alle an der Wertschöpfung beteiligten Objekte wie Maschinen; Lagersysteme, Betriebsmittel und Werkstücke in das weltumspannende Kommunikationsnetz integriert, wofür der Begriff „Internet der Dinge“ steht. Jedes Objekt existiert sowohl real als auch als virtuelles Modell, so dass die physische und die virtuelle Welt nahtlos ineinandergreifen. Die virtuellen Abbilder werden durch die gesamte Wertschöpfungskette mitgeführt und repräsentieren immer den aktuellen Zustand des realen Objekts. (Evtl. Einschub: Handelt es sich bei den Objekten um vernetzte eingebettete Systeme mit eigener Steuerintelligenz, spricht man auch von sog. Cyber-Physischen Systemen.) Werden alle Objekte und Prozesse einer Fabrik im virtuellen Raum abgebildet erhält man ein digitales Fabrikmodell, in der sämtliche relevanten Informationen in Echtzeit verfügbar sind. Auf Basis der virtuellen Modelle lassen sich alle Abläufe an den Produktionslinien bis ins Detail simulieren und optimieren. Dies ermöglicht nicht nur eine verbesserte Produktionsentwicklung, sondern auch eine Selbstoptimierung des laufenden Betriebs: Bei geänderten Betriebsbedingungen kann das Produktionssystem die vorgegebenen Ziele wie minimale Durchlaufzeiten oder maximale Energieeffizienz automatisch modifizieren und die Abläufe an die veränderten Ziele anpassen. Durch Vergleich von realen Anlagenwerten mit den Simulationen der Modelle können Prognosen über die Ausfallwahrscheinlichkeit von Betriebsmitteln im Sinne einer vorbeugenden Wartung erstellt und Fehler durch Selbstdiagnose ermittelt werden. Bislang ist die Erstellung der dynamischen virtuellen Modelle aufwendig. Hier bietet das maschinelle Lernen einen Ausweg: Durch Messung von Fabrikprozessen in Echtzeit können die Computermodelle aus einer ausreichenden Menge von Prozessdaten erlernt werden, beispielsweise mit Data-Mining-Methoden.

Aufgrund der hohen Komplexität und Dynamik sind die Wertschöpfungsprozesse in der Industrie 4.0 nur durch konsequente Modularisierungsstrategien und dezentrale Steuerungsarchitekturen beherrschbar. Kundenaufträge werden nicht mehr zentral vorausgeplant und nach starren Vorgaben umgesetzt, sondern hochflexibel durch Selbstorganisation des Produktionsnetzwerks ausgeführt. So führen Werkstücke die nötigen Informationen über erforderliche Bearbeitungsschritte mit sich, kommunizieren über eine eingebaute RFID (Radio Frequency Identification)-Antenne mit den Maschinen entlang ihres Weges und lösen eigenständig Bearbeitungsaufträge aus. Intelligente Maschinen koordinieren autonom deren Abwicklung und initiieren Logistikaufträge zur Bereitstellung des notwendigen Materials. Fällt eine Maschine aus, organisiert sich die Fertigung über einen alternativen Weg neu. Auch auf kurzfristige Änderungen der Nachfrage kann das Produktionsnetzwerk flexibel reagieren, da die Ausführung der Aufgaben im Gegensatz zur hierarchischen Steuerungsorganisation so spät wie möglich und nur so früh wie nötig geplant wird.

Trotz durchgehender Automatisierung werden die Menschen weiter die wichtigste Kontroll- und Entscheidungsinstanz in der Fabrik bleiben. Neue intelligente Assistenzsysteme und mobile Endgeräte sollen den Mitarbeiter unterstützen, schnell und effizient komplexe Entscheidungen zu treffen, die Maschinen auch in absehbarer Zeit nicht übernehmen können.

Viele Einzeltechnologien sind heute schon vorhanden. Die vorausschauende Instandhaltung zur frühzeitigen Erkennung von Verschleiß, Unwuchten oder Wälzlagerschäden bei kritischen Antriebskomponenten in Maschinen und Anlagen ist vielfach bereits Stand der Technik. Auch RFID-Systeme sind seit vielen Jahren ein bewährtes Werkzeug zur Steuerung einer variantenreichen Produktion. Um eine weitgehend selbstorganisierte und -optimierte Produktion zu ermöglichen, müssen die verschiedenen Einzeltechnologien zukünftig auf Basis technischer Standards zusammengeführt werden. Eine wichtige Herausforderung ist die flexible Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure im Wertschöpfungsnetzwerk im Sinne einer semantischen Operabilität: Hier geht es nicht nur um den effizienten Austausch von Daten, wie es im heutigen Internet üblich ist, sondern darum, dass alle Kommunikationspartner das in den Daten enthaltene Wissen auf Basis gemeinsamer semantischer Standards automatisch nutzen können. Weitere Herausforderungen bestehen in der Erarbeitung von industrietauglichen Konzepten für die funktionale und die IT-Sicherheit.

Viele digitale Schlüsseltechnologien kommen aus den USA oder Südostasien. Für Deutschland gilt es, die Systemkompetenz an der Schnittstelle zwischen den klassischen Industriebranchen und der IT- bzw. Internettechnologie zu nutzen. Notwendig ist eine noch engere und branchenübergreifende Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft.

Weitere Informationen zum Zukunftsprojekte Industrie 4.0 bietet die Plattform Industrie 4.0: http://www.plattform-i40.de. Die VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (GMA) hat im April 2014 drei fachlich fundierte Statusberichte zu Wertschöpfungsketten, Komponenten und Referenzmodellen der Industrie 4.0 in Deutschland veröffentlicht: http://www.vdi.de/industrie-40. Regionale Informationen sowie IHK-Aktivitäten zum Thema Industrie 4.0 finden sich auf der Plattform www.automation-valley.de.